Süße, deine Zielgruppe steht dahinten
Das war gestern wieder ein toller Abend mit viel guter Laune und lustigen Geschichten aus dem Leben. Unsere Treffen sind immer super. Wir, das ist eine kleine Gruppe von Agrarwissenschaftlern, die nach dem gemeinsamen Studium in Kontakt geblieben ist. Normalerweise sitzen wir gemütlich zusammen und je später der Abend, umso beschwingter werden die Erzählungen. Dieses Jahr war der Ort unseres Treffens allerdings das große weite Netz. Danke, Corona. : (
Direktvermarktung lebt vom Gespräch mit Kunden
Anne schoss gestern mit Ihrer Geschichte den Vogel ab. Seit 20 Jahren führt Anne einen sehr schönen, gut sortierten kleinen Hofladen mit regionalen landwirtschaftlichen Produkten in der Nienburger Gegend. Sie ist sehr engagiert und eine emotionale Fürsprecherin für die Belange der Landwirtschaft. Ich bewundere ihr Durchhaltevermögen und ihre Beharrlichkeit. Und so steht Anne einmal monatlich auf dem Marktplatz und sucht das Gespräch mit der Öffentlichkeit. Mit im Gepäck eine Auswahl Ihres Hofladenangebots. Sie bietet frisches Gemüse und Obst je nach Saison und auch Fleisch und Wurst von Nutztieren aus nachbarschaftlichen Betrieben. Anne wählt ihre Ware sorgfältig aus.
Kommunikation braucht Mut
Das Publikum auf dem Marktplatz ist gemischt und ein guter Mix der Bevölkerung. Kontaktscheu ist Anne nicht und so sucht sie sich ihre Herausforderungen selber. Während eines Markttages im letzten Sommer sprach sie eine Gruppe junger Erwachsener an, die sich gerade mit echten belgischen Fritten vom Frittenwagen neben ihrem Marktstand eingedeckt hatten. Die Imbissbude ist ständig von Publikum umringt und erscheint Anne für ihre Öffentlichkeitsarbeit geradezu ideal.
Anne setzte ihr nettes Lächeln auf und fragte die jungen Leute, ob sie wissen, woher die Kartoffeln für ihre Pommes kommen. Die Jugendlichen lachten und antworteten: “Klar wissen wir das. Aus Belgien kommen die.“ Darauf Anne: „Mich interessiert, was Sie über Kartoffeln wissen. Wo werden sie angebaut und was brauchen diese, um gesund zu wachsen?“
Informieren oder Missionieren?
So langsam fühlten sich die Jugendlichen etwas genervt. Aber Anne ist ein Kämpfer und gibt nicht so schnell auf. Anne: „Kartoffeln werden auch in der Nienburger Gegend angebaut. Hier gibt es viele engagierte Landwirte und diese produzieren mit ihrem Know-how die Produkte, die Sie täglich konsumieren. Wir Landwirte brauchen Ihre Unterstützung. Wir brauchen Fürsprecher für unsere Produkte.“
Nun drehte sich ein junger Mann zu Anne um, lächelte sie an und sagte: „Das ist ja alles sehr spannend und lehrreich. Leider ist Landwirtschaft kein Thema, was mich interessiert. Auf die Herkunft meiner Produkte habe ich noch nie geachtet. Hauptsache, sie sind frisch und die Äpfel nicht runzelig. Mich interessiert lediglich der Preis meiner Produkte! Den besten bekomme ich im Supermarkt. Sorry! Süße, wir sind leider nicht deine Zielgruppe! Die steht nämlich dahinten.“
Mit einer Kinnbewegung zeigte er auf eine junge Familie mit 2 Kindern im sportlichen Outfit auf Fahrrädern, die sich intensiv Annes Produkte anschauten.
Ziele der Kommunikation klar definieren
Die Geschichte ist wirklich lustig und wir können uns diese Begegnung so richtig gut vorstellen. Sie gibt aber auch Anlass zur lebhaften Diskussion: „Anne, was willst du eigentlich? Möchtest du deine Produkte verkaufen? Oder möchtest du informieren und Sympathien für die Landwirtschaft gewinnen? Möchtest du vielleicht sogar die Öffentlichkeit mitnehmen in die politische Debatte? Was genau ist das Ziel deiner Kommunikation mit einzelnen Verbrauchern?“ Hier musst du dich entscheiden, sonst machst du dir das Leben sehr schwer.“
„Wenn du dich für die Vermarktung deiner Produkte entscheidest, dann definiere deine Zielgruppe. Was erwartet diese von deinen Produkten?“
Die Wünsche der Zielgruppe kennen
„Kein Verbraucher möchte von dir hören: gute Qualität, wenig Einsatz von Pflanzenschutz, aus regionalem Anbau. Das ist so beliebig! Was also ist dein Versprechen, welches Gefühl nimmt deine Zielgruppe beim Kauf deiner Produkte mit nach Hause? Was genau ist die Geschichte zu deinen Produkten, mit der du Emotionen transportierst und Kunden an dich bindest? Vielleicht möchte deine Zielgruppe beim Kauf deiner Produkte etwas heile Welt mit nach Hause nehmen. Vielleicht ist es ein Gefühl der Geborgenheit, Ruhepol in der Hektik des Alltags, das Gefühl, den Kindern das Beste mitzugeben oder schöne Erinnerungen an die eigene Kindheit.“
Wir sind inzwischen alle etwas nachdenklich und danken den Jugendlichen vom Imbiss, dass sie uns so interessanten Gesprächsstoff geliefert haben.
Wer ist Ihre Zielgruppe und wie tickt sie? Zeit, sich darüber einmal Gedanken zu machen, Süße/ Süßer.